Begleitung Frau RL für die letzten 5 Lebensjahre 95. Bis 101. Lebensjahr
Ich werde beauftragt vermittelt durch die Sozialarbeiterin des Hauses, weil Frau L sich häufig bestohlen meint und so bestürzt über dieses Geschehen, dass Sie nicht selten telefonisch die Polizei zu Hilfe ruft.
AUSGANGSSITUATION
Frau L, verwitwet, zeigt sich mir gegenüber mitteilungsbedürftig; erzählt gerne die größten Erfolgsgeschichten aus Ihrem Leben und Abenteuer, andererseits erzählt sie auch ausführlich und anklagend welche „Verbrechen“ in Ihrem Appartement im PensionistInnenwohnhaus jeweils widerfahren.
Beides zeigt an wie sehr Frau L durch die Verluste der letzten Jahre. Die ihr zunehmende Demenz aufbürden sowie durch die Schwierigkeiten den Sozialen Druck in den sie in der Hausgemeinschaft in Folge Ihrer demenzbedingten „Verhaltensoriginalitäten in der Hausgemeinschaft in die sie samt Ihrem Mann gut integriert war solange sie noch nicht auffällig demenzbedingt eingeschränkt war geraten ist.
INTERVENTIONEN AUF DER PSYCHISCHEN EBENE
Es gelingt mir durch mitfühlendes aufmerksames Zuhören und mit viel Geduld den inneren Druck der Frau L nachhaltig zu reduzieren. Vor allem da mit der Zeit die MitarbeiterInnen des Hauses lernen, wie wichtig es ist sich nicht durch die Anklagen und Launen der Frau L beeinflussen zu lassen sondern möglichst durchgängig liebevoll und wertschätzend mit Frau L zu sein.
Auf der psychischen Ebene zeigt sich als wichtig, e so einzurichten, dass Frau L deren Schwerhörigkeit in den Jahren vor dem Kennenlernen durch mich massivst geworden in paranoiden Gedanken bestärkt worden ist. Sie konnte ja vielen Dialogen nicht mehr richtig folgen in der Öffentlichkeit des Hauses und ebenso in der Kombination von Schwerhörigkeit und Demenz Seifenopern oder Krimis nicht mehr folgen und reagierte auf diese ebenso mit Angst. Es zeigte sich als hilfreich anzuregen, dass Frau L möglichst lieber Sportsendungen sieht statt erstgenannten TV-Programmen, denn frau L war in Ihren jungen Jahren immer ein sehr sportlicher Mensch gewesen verband also mit Sport im TV positive Erinnerungen und Gefühle, Außerdem gibt es hier keine verwirrenden Emotionen…
Viel Mitgefühl beim Zuhören und auch Trost für die Schwere Ihrer Lage aber auch erfreuliche Höhepunkte wie Ausgänge inklusive Heurigenbesuchen stabilisieren Frau Ls Psyche über die Zeit.
Wohl spiel auch die Zuverlässigkeit meiner Besuche in ihrer Regelmäßigkeit (ein bis zweimal die Woche eine Rolle. Ein großzügiger Enkel finanziert meine Arbeit. Frau L könnte sie aus dem was ihr das PWH belässt nicht alleine sich leisten – leider.
Viel erfreuliche Biographiearbeit mit zum Glück zahlreich vorhandenen Fotos aus Ihrem Leben – ich lege ein Album mit vergrößerten Reproduktionen der wichtigsten Personen und Highlights an – dieses wird auch von Angehörigen dann sehr gerne verwendet.
INTERVENTIONEN AUF DER KÖRPERLICHEN EBENE
Es ist wichtig dass restliche Hörvermögen auf einem Ohr mit Hörgerät bestmöglich zu verstärken um Kommunikation wieder zu ermöglichen. Dies gelingt mit viel Geduld und auch indem durch Band und Clip verlegen des Hörgeräts unwahrscheinlicher wird.
Um die Sturzgefahr zu reduzieren und die Mobilität der Frau L zu erhalten und wieder zu steigern ist sowohl das Einführen von Schuhen die sie trotz der relativ dicken Stützbandagen die sie wegen starken Venenprobleme tragen muss tragen kann, mit denen Sie sicher gehen kann, als auch sie an einen Rollator zu gewöhnen.
Mir gelingt beides was vorher niemandem gelungen ist weder angehörigen noch Profis aus dem Haus, weil es mir gelingt in beiden Fällen Frau L instand zu setzen, dass Sie das gehen in guten weichen Verbandsschuhen mit Klettverschluss und guten Sohlen sowie das Fahren mit einem guten Rollmobil ausprobieren kann. Erwartungsgemäß lassen die Vorteile der neuen Lösungen Frau L ihre anfänglich immer starken Widerstände gegen jede Veränderung sehr bald vergessen.
So kann die eigenständige Mobilität der Frau L die immer ein agiler Bewegungsmensch, ein energetischer Mensch war, erhalten bzw. wieder verbessern. Hinzu kommt nach Stürzen im Badezimmer, dass ich Antirutschaufkleber auf dem Fließenboden im Badezimmer anbringe und so die Sicherheit dort erhöhen kann nachdem es zu gefährlichen Stürzen dort gekommen war.
SONSTIGES
Immer wieder kann ich Frau L signifikant Freude bereiten indem ich Einrichtungsteile bei Ihr erneuere oder nach Ihren Vorstellungen gestalte. Z.B. bekommt ein Kasten im Freien den sie verwendet um Getränke zu kühlen eine Türe aus Karton mit Klettverschluss.
Herausforderungen der letzten Jahre:
Immer öfter gehen die Wohnungsschlüssel verloren – meine Lösung ist, den Schlüssel am Rollator mit einem Ausziehbaren Band anzubringen.
Immer öfter wird das Hörgerät verlegt trotz Kette und Clip.
Eine Aushilfe bieten im Onlineversand erhältliche, sehr günstige Hörgeräte, die als Notbehelf einsetzbar sind, weil die Versicherung die teuren maßgefertigten Hörgeräte nicht mehr finanziert.
Eine wichtige Aktion und eine sehr herausfordernde ist es Frau Ls Bett zu entrümpeln. Die Notwendigkeit dazu entsteht weil Frau L sehr lange schon nicht mehr im Bett schläft weil dieses eine Aufbewahrungskammer geworden ist in den Jahren. Und das immer sitzend schlafen das Wasser in Beinen verschlimmert. Unter großem Widerstand kann ich das Bett entrümpeln und erreichen, dass Frau L schließlich freiwillig wieder im Bett schläft – tatsächlich wird die Problematik des Wassers in den beinen dadurch besser.
Das letzte Jahr der Frau L ist nach letzten großen Höhepunkte zu Ihrem 100sten Geburtstag wo Frau L durch eine sehr helle Rede bei der Familienfeier glänzt aber auch ein Heurigen besuch zu Ihrem 100sten an dem Sie sehr sehr genussvoll das Heurigenbuffet genießt aber auch die Lifemusik die wir erleben dürfen.
Leider kommt es relativ bald nach diesen tagen zu einem schweren Sturz im Appartement. Leider gelingt es mir nicht mehr die Idee vorzubringen, dass durch ein elektronisches Sturzmeldesystem der Verbleib der Frau L im eigenen Appartement weiter gelingen könnte.
So wird Frau L leider in eine Betreuungsabteilung verlegt und dort sogar mit einem kippbaren Sitzmöbel ruhiggestellt.
Frau L stirbt sehr bald nach dieser Veränderung der Lebensform – aus meiner Sicht erwartungsgemäß.
Der ganze Verlauf der letzten Jahre der Frau L ermutigt mich sehr „Demenzbetreuung Selbstbestimmt“ mit meiner Kollegin Frau Mag.a. Pollak weiterzuentwickeln und möglichst erfolgreich zu implementieren.
Alexander Popper, Wien am 15.03. 2021